„In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts spielte sich hier ein Leben ab, das für den Berliner Osten typisch war. Hier wurde gewohnt und gearbeitet, eingekauft, gefeiert und gezecht. Zur Nachbarschaft zählten Fabrikarbeiter, Handwerker, Bankbeamte, Buchhalter, Kontoristen, Maurer, Gastwirte, Gärtner oder Pensionäre.“
– Marlies Sparmann
Durch den Bau der Elsenbrücke in den 50ern wurde der Markgrafendamm eine Durchgangsstraße zwischen Lichtenberg und Treptow. Vom einstigen Glanz zeugen nur wenige Häuser. Er ist eine Melange aus Rush-Hour, Feiertourismus und Randbezirksgewerbe.
Im Folgenden werden historische Bilder in aktuellen Kontext gesetzt.
Blick in die Corintstraße (ehemals Goßlerstraße) vom Markgrafendamm aus
Leihgeber des historischen Bildes: Sammlung Rainer Gräbert, via Friedrichshainer Geschichtsverein Hans Kohlhase.
Markgrafendamm Richtung Elsenbrücke, links Hausnr. 1 bis 6, rechts 31 bis 36
Rechteinhaber des historischen Bildes: FHXB-Museum
Markgrafendamm vor Nr. 29
Alt-Stralau (rechts) mit Blick in den Markgrafendamm, Cigarrenladen von Herrn Linke, links daneben Eisenwarenhandlung F. Rössel.
Leihgeber des historischen Bildes: Sammlung Rainer Gräbert, via Friedrichshainer Geschichtsverein Hans Kohlhase.
Blick in die Laskerstraße von der Bödikerstraße
Leihgeber des historischen Bildes: Sammlung Rainer Gräbert, via Friedrichshainer Geschichtsverein Hans Kohlhase.
Elsenbrücke, Blick Richtung Markgrafendamm, links Stralauer Allee, rechts altes Osthafenkraftwerk
Ausblick vom Markgrafendamm 31 übers VW-Autohaus Richtung Stralau
VW-Autohaus im Markgrafendamm 7 bis 9
Blick vom Markgrafendamm in die Laskerstraße
Markgrafendamm vor Hausnummer 30 Richtung Elsenbrücke
Ausblick aus Hausnummer 31
Durchgangsverkehr herrschte auf der Nord-Süd-Trasse schon vor rund 300 Jahren, allerdings in bescheidenem und beschaulichem Maße. Damals, 1719, hatte Albrecht Friedrich, Markgraf zu Brandenburg-Schwedt (1672–1731), die Order gegeben, vor den Toren Berlins einen Knüppeldamm zu bauen. Unmengen von Rund- und Kanthölzern wurden senkrecht zur Straßenachse eingeschlagen und dann mit Randhölzern überdeckt, damit Kutschen und Wagen, Reiter und Fußgänger unbeschwert über das sumpfige Gelänge in der Nähe des Rummelsburger Sees gelangen konnten. Die Maßnahme war natürlich nicht ganz uneigennützig, schließlich wollte der Markgraf schnell und bequem von seinem Stadtpalais Unter den Linden zum Schloß Friedrichsfelde gelangen. Das Schloß war von dem kurbrandenburgischen Marinedirektor, dem Holländer Benjamin Raulé erbaut worden, nachdem ihm Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg Ländereien des Dorfes Rosenfelde geschenkt hatte, später umbenannt in Friedrichsfelde. Raulé fiel jedoch bald in Ungnade und der Kurfürst übertrug 1713 Schloß und Gut an den Markgrafen Albrecht Friedrich. Wie es sich für den Sprößling eines gehobenen Adelsgeschlechts ziemte, hatte dieser Karriere als Militär gemacht und es bis zum kurbrandenburgisch-preußischen Generalleutnant gebracht. So nahm er am Pfälzischen Erbfolgekrieg gegen Frankreich teil, kämpfte 1694 in Italien und 1702 in den Niederlanden. Später wurde er Statthalter in Hinterpommern, wie er auch das Domänengut in Altfriedland übernahm.
Die Verbindung zwischen Rummelsburg und Stralau war vermutlich seit jeher nach dem Wohltäter benannt, zumindest ist sie bereits auf einem Stadtplan von 1857 als Markgrafendamm namentlich eingezeichnet. Die noch nicht einmal einen Kilometer lange Straße, die von der Hauptstraße am Ostkreuz bis zur Kreuzung Stralauer Allee/Alt-Stralau und damit fast bis zur gewaltigen Elsenbrücke reicht, wurde Anfang des 20. Jahrhunderts mit Mietshäusern bebaut, etwa bis zur Höhe Laskerstraße, die auf westlicher Seite wie die Persius- und Corinthstraße (früher Goßlerstraße) in den Markgrafendamm mündet. Auf östlicher Straßenseite, ungefähr gegenüber der Persiusstraße, begann die kleine Tübbeckestraße – benannt nach dem berühmten Stralauer Lokalbesitzer und Gemeindevertreter –, die bis zur Kynaststraße reichte und über die man nach wenigen Schritten zum Restaurant Neu-Seeland am Rummelsburger See gelangen konnte. Mitte der 60er Jahre wurde jedoch dieser Verbindungsweg gekappt.
An der Ecke Stralauer Allee, wo man heute im Irrenhaus (bzw dessen Nachfolger) gemütlich sein Bier trinken kann, war wohl seit Anbeginn ein Arbeiter-Wohnzimmer, beispielsweise Otto Hahns Gross-Destillation und später das Restaurant Markgraf. Schräg gegenüber, im Haus Nr. 6, servierte Ernst Schmidt in seinem Familien-Restaurant kalte und warme Speisen, Süßigkeiten gab es ein paar Meter weiter in der Konditorei. Überhaupt konnte an jeder Ecke der Durst gelöscht werden: An der Persiusstraße betrieb Paul Laas Kneipe und Likör-Fabrik und an der Goßlerstraße gab es gleich zwei Etablissements: eine Restauration und gegenüber, unter einem Modesalon, Karl Grahes Schultheiss-Ecke, später zum Markgrafen-Kasino umgewandelt, in dem Berliner Kindl und Kulmbacher Reichelbräu gezapft wurden. In den Markgrafensälen in Nr. 34 fanden nicht nur Versammlungen und Vorträge statt, sondern hier wurde auch geschwoft und getanzt. 1916 wurde hier ein Kino mit 420 Plätzen eröffnet – das Markgrafen-Lichtspieltheater, später Stralauer Lichtspiele, in dem bis 1971 Filme gezeigt wurden.
Neben einem halben Dutzend Tabak- und Zigarrenläden wurden Handel, Handwerk und Gewerbe vom Eisenwarenhändler Felix Rössel repräsentiert oder von Otto Schoening, der in seinem Delikatessengeschäft in Nr. 5 Braunschweiger und Thüringer Wurstwaren verkaufte. In Nr. 29 führte Hermann Anders seine Restehandlung für Mädchen- und Knabengarderobe; in Nr. 10 nannte Schuster Rudolf Runge seine Werkstatt Besohl-Anstalt, sein Nachbar, der Schlosser Georg Heicke, hatte sich auf Türschloß-Sicherungen spezialisiert, und nebenan arbeitete Mathilde Uhde in ihrer Wasch- und Plätt-Anstalt und Gardinen-Spannerei. Außerdem gab es in der Straße einen Friseur, ein Herrenmode-Geschäft, eine Papierwarenhandlung, zwei Elektrofachgeschäfte, eine Schirm-Reparatur, Drogerie, Zoohandlung, Leihbücherei, Fleischer sowie ein Seifen- und Kosmetikgeschäft. Im Haus Nr. 28, gleich neben der Fleischerei von August Höcker, warnte ein Schild neben der Toreinfahrt: »Langsam einfahren!«
Spuren der Geschichte finden sich noch in Nr. 24, am nordwestlichen Ende des Markgrafendamms, hinter der Laskerstraße, auf dem weitläufigen Gelände der einstigen Hauptwerkstadt der Niederschlesischen-Märkischen Eisenbahn, das bis zur Modersohnstraße (früher Hohenlohestraße) reicht. Hier steht das Schaltwerk Markgrafendamm, das 1928 für die Stromversorgung der Berliner S-Bahn errichtet wurde. Der achteckige Bau beherbergt u. a. den ellipsenförmigen Raum der Schaltwarte und wurde 1999 rekonstruiert. Zwischen dem Schaltwerk und der S-Bahn befindet das um 1880 erbaute zweigeschossige Beamtenwohnhaus, Überbleibsel einer kleinen Wohnsiedlung für die am Ostkreuz beschäftigten Eisenbahner.
Einen Bruch gab es im Wachsen und Reifen des Markgrafendamms. Die Wunden, die ihm im Zweiten Weltkrieg und danach zugefügt wurden, sind bis heute nicht verheilt. Zu sehen etwa an der östlichen Straßenseite, wo Vorderhäuser weggebombt wurden, an der Persiusstraße, wo ein Plattenneubau steht, oder an der Ecke Alt-Stralau, wo sich gegenwärtig junge Menschen im Klub Wilde Renate austoben und das Vorderhaus Anfang der 70er Jahre abgerissen wurde.
Ein paar Meter weiter, in einem unscheinbaren grauen Gebäude, herrscht vor allem in den Wochenendnächten munteres Treiben. Die Betreiber des Klubs about Blank haben ein ambitioniertes Musikprogramm rund um Techno, Minimal, Elektro, und Dubstep auf ihre Fahnen geschrieben, doch der Klub läuft nur als Zwischennutzung bis zur Fertigstellung des Bahnhofs. Und sieht das Ostkreuz endlich wie das Südkreuz aus, droht schon die nächste Baustelle am Markgrafendamm: die Weiterführung der Autobahn A 100 von der Elsenbrücke bis zur Frankfurter Allee. Dafür müßten dann Wohnhäuser in der Straße und das denkmalgeschützte ehemalige Osthafen-Kraftwerk abgerissen werden. Anwohner, denen diese Trassenplanung schon heute seelische Schmerzen bereitet, dürfen derweil in einem der zahlreichen Massagesalons in der Straße entspannen: »tantrisch, zärtlich, sinnlich und liebevoll«.
Text mit freundlicher Genehmigung von Marlies Sparmann, Friedrichshainer Chronik, Ausgabe Dezember 2014.
Kontakt: localhost UG, info@markgrafendamm-berlin.de, Sewanstraße 122, 10319 Berlin
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